Cookie-Einstellungen

Dieses Tool hilft Ihnen bei der Auswahl und Deaktivierung verschiedener Tags / Tracker / Analysetools, die auf dieser Website verwendet werden.

Essentiell

Funktional

Marketing

Statistik
Szenenbild aus »Rusalka«
Szenenbild aus »Rusalka«

Warum wir Märchen lieben

Vor einigen Jahren war die US-Amerikanerin Corinne Winters noch so etwas wie ein Geheimtipp. Eine Sängerin, der man, wo immer sie auftrat, Begeisterung entgegenbrachte und eine große Karriere prophezeite. Mittlerweile hat sie diese Voraussagen eingelöst und zählt zu den angesagten Sopranistinnen weltweit. Auch ihre bisherigen Auftritte in Österreich – so die Kátja Kabanová bei den Salzburger Festspielen (2022) oder Halka im Theater an der Wien (2019) – wird man in schöner Erinnerung behalten. Nun gibt sie am 31. März in der Titelpartie von Dvořáks tiefenpsychologischem Märchen Rusalka ihr mit Spannung erwartetes Debüt an der Wiener Staatsoper.


Sven-Eric Bechtolf, der Regisseur der aktuellen Rusalka-Produktion, betonte, dass man Märchen weder platt nacherzählen noch entlarven sollte, da sie sonst geheimnislos würden. Nun bedarf die Symbolhaftigkeit von Rusalkas Verstummen einer interpretierenden Erzählung. Wie bringt man als Sängerin der Hauptfigur diese beiden Ebenen zusammen? Wie schafft man es, zu interpretieren und dennoch Raum für das Geheimnisvolle dieses Märchens offenzulassen?

Wir haben in dieser Geschichte zwei gegensätzliche Pole vor uns: Der Realität des menschlichen Daseins steht ein Kosmos von Elfen, Hexen, Wassermännern, Irrlichtern gegenüber, in der Rusalka zu Hause ist. Das Tragische ist, dass die jeweiligen Vertreter der einen Welt das Wesen der anderen nicht begreifen und ergründen können. Rusalka bekommt immerhin einen Vorgeschmack auf das, was Menschen körperlich und geistig erleben, aber mehr nicht. Die Ebene der sexuellen Leidenschaft ist für sie unerreichbar, egal, wie groß ihre Sehnsüchte sind, egal, wie groß ihre Fähigkeit zur uneigennützigen Liebe ausgeprägt ist. Nun finden wir in den Ursachen, die Rusalka Leidenschaften gegenüber so unempfindlich machen, viel Raum für Interpretation. Ihre Sehnsucht und ihr verzweifelter Versuch, ihr Nicht-Begreifen zu überwinden, aber auch der Kontrast, der durch das Aufeinandertreffen der beiden gegensätzlichen Welten entsteht, schafft jenes Geheimnis, das für ein Märchen unabdingbar ist.


Hat Rusalka zum Schluss auch etwas gewonnen oder nur verloren?

Sie hat definitiv etwas gewonnen. Alle Märchen besitzen eine Moral oder besser eine Wahrheit, die wir mitnehmen können. Hier in Rusalka geht es darum, dass die Erfahrungen, die das Leben zu bieten hat, nicht vergeblich sind und sogar beglücken, auch wenn sie mitunter schmerzvoll sind. Die Titelheldin hat durch das Zusammentreffen mit dem Prinzen und ihrer letztlich unglückseligen Menschwerdung die große Liebe kennengelernt, dieses überwältigende, wenn auch nur kurzzeitige Aufgehen in einem anderen Wesen. Genau das, wonach in Wahrheit jeder Mensch auf der Suche ist. Warum lieben wir Märchen? Weil wir in ihnen solche Empfindungen in Reinkultur erfahren können.


Und welches Gefühl hat Rusalka am Ende der Geschichte dem Prinzen gegenüber? Ist es immer noch Liebe?

Ja, davon bin ich überzeugt. Sie hat eine neue Perspektive kennengelernt. Die Intensität der Liebe, aber auch die Traurigkeit und Schwere, die die menschliche Welt bieten, haben ihr die Augen geöffnet. Sie begreift, dass der Prinz sie nach wie vor liebt und sie nur verraten hat, weil sie ihm etwas nicht geben konnte, was zum menschlichen Leben dazugehört. Der finale Kuss, der ihm den Tod bringt, ist Verzeihen und Liebes-erfüllung zugleich. Für beide.


Es gibt im Zusammenhang mit Rusalka folgenden Opernwitz: Eine junge, ungenügende Sängerin wird engagiert. Als sie fragt, wofür sie angesetzt ist, sagt man ihr: für den 2. Akt Rusalka – der Akt, in dem Rusalka die Sprache verloren hat und daher stumm bleibt. Der Witz funktioniert nicht wirklich, weil Rusalka gegen Ende des Aktes ihre Sprache wiederfindet. Daher auch meine Frage: Wie kann es gelingen, solange stumm auf der Bühne zu sein und dann plötzlich singen zu müssen?

Als ich begann, Rusalka zu studieren, habe ich mir genau diese Frage gestellt, um dann herauszufinden, dass Dvořák genau wusste, was er tat: In den 30 Minuten, in denen man auf der Bühne zu spielen, aber nichts zu singen hat, lädt man sich immer mehr mit Energie auf. Ich bin ja in dieser halben Stunde nicht passiv, die Figur der Rusalka erlebt schließlich einen emotionalen Ausnahmezustand, der immer weiter aufgestaut wird und schließlich in dem Moment gipfelt, in dem sie, die Sprache wiederfindend, dem Wassermann in einem dramatischen Aufbäumen ihr Leid klagt. Ich bin daher als Interpretin der Rusalka in diesem Augenblick genau in jener Stimmung, die diese Klage erfordert. Dadurch ist auch die vokale Herausforderung, nach so langer Zeit des Stummseins einsetzen zu müssen, leichter zu meistern.


Wie schreibt Dvořák grundsätzlich für die Stimme?

In seiner lyrischen Komponente besitzt gerade die Rolle der Rusalka etwas Belcanteskes, ist also gesund und angenehm für die Stimme. Zugleich hat das Tschechische durch den Konsonantenreichtum etwas Perkussives, das einen zusätzlichen Raum für die Emotionen schafft. Es handelt sich also um einen legatoreichen, italienischen Gesangsstil, gespickt mit Konsonanten. Doch das ist nicht alles: Durch die ungemeine Vielschichtigkeit in der orchestralen Textur erhält die Gesangsstimme eine Unterstützung, die der Interpretation und Textausdeutung eine zusätzliche Detailtiefe verleiht.


Wenn man Sänger aus Deutschland nach ihren Lieblingskomponisten fragt, kommt oft die Antwort: Johann Sebastian Bach. Wer ist es bei Ihnen?

Wie kann man sich nur für einen einzigen entscheiden? In meinem relativ umfangreichen Repertoire nehmen aktuell die slawischen Komponisten einen wichtigen Platz ein – sowohl auf dem Gebiet der Oper als auch im symphonischen Bereich: Meine erste Liebe galt Tschaikowski; seit ich mich viel in der tschechischen Welt aufhalte, sind meine Lieblinge Janáček und Dvořák, sie sind sozusagen das Herzstück meines derzeitigen Repertoires.


Wir hatten an der Wiener Staatsoper vor kurzem eine öffentliche Diskussion darüber, ob Künstlerinnen und Künstler besondere Menschen sind. Was glauben Sie?

Alle Menschen, die sich als Kind als Außenseiter fühlten oder ein sehr reiches Innenleben haben, werden entweder Künstlerinnen und Künstler oder große Kunstliebhaber.  Auf jeden Fall kann Kunst auch Gefühlen Ausdruck verleihen, die im täglichen Leben nicht im Vordergrund zu stehen scheinen. Ich persönlich schätze es außerdem, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die am Hervorbringen eines gemeinsamen Kunstwerks beteiligt ist. Das Milieu des Musiktheaters ist für mich daher der ideale Ort schlechthin.


Findet sich dieser ideale Ort auch in Ihren Träumen wieder?

Ja, aber eher alptraumhaft: Meist stehe ich knapp vor einem Auftritt und merke, dass ich den Text vergessen habe oder gar nicht weiß, in welcher Oper ich gerade mitwirke. Allerdings kamen solche Träume am Beginn meiner Karriere häufiger vor. Mittlerweile, seit ich doch über einige Jahre Erfahrung verfüge und überdies weltweit mit wunderbaren Künstlern arbeiten darf, werden auch die nächtlichen Schrecksekunden seltener.


Am 31. März geben Sie ihr Debüt an der Wiener Staatsoper. Worauf freuen Sie sich am meisten?

Da gibt es einiges: Die Rusalka ist derzeit meine liebste Rolle – ich habe also das Privileg, mit meiner Lieblingsrolle an einer der wichtigsten Bühnen debütieren zu dürfen. Außerdem steht der wunderbare Tomáš Hanus am Pult, mit dem ich vor ein paar Spielzeiten in Genf Jenůfa erarbeiten durfte. Entsprechend groß sind meine Erwartungen an sein Rusalka-Dirigat – ich freue mich wirklich auf die Zusammenarbeit!  Dazu kommen das tolle Orchester und dieses bekanntermaßen kunstsinnige Wiener Publikum. Kurzum: Ich kann es kaum erwarten.