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© Michael Pöhn
© Gregor Hohenberg / Sony Classical

NEBENWIRKUNG: EINE WELTKARRIERE

Das ganz offizielle Tragen dieses einzigartigen, höchsten Kultur-Titels ist nur wenigen vergönnt. Und: Nein, es handelt sich um keinen jener Titel, an die Sie gerade denken. Sondern: Um den vorgestellten Artikel. Also die Callas. Der Domingo. Die Netrebko. Und eben: der Kaufmann. Nur drei Buchstaben, die doch praktisch alles enthalten. Ikonische Verehrung. Einzigartigkeit. Den Verlust des Vornamens. Und vor allem eine Ausstrahlung weit über den engen und mittleren Kreis der Opernliebhaber und -liebhaberinnen. Vielleicht sogar die Gabe, Opernneulinge für das Genre so zu begeistern, dass sie zu Musiktheater-Familienmitgliedern werden. Nur wenige pro Generation tragen diesen Titel, aber wer ihn hat, hat ihn bleibend. Es ist einfach so. Jonas Kaufmann ist der Kaufmann.

Die Anfänge waren, wie so oft, verbunden mit den Wechselfällen des Lebens. Weil die Hände des noch sehr jungen Jonas für den Klavierunterricht als zu klein befunden wurden, steckten ihn seine Eltern als Alternativprogramm in den Kinderchor. Alter: fünf Jahre. Nebenwirkung: eine Weltkarriere. Denn dort fand der junge Sänger erstmals seine Berufung. »Die Erinnerung an das Gefühl, das ich dort hatte, dieses Von-Klang-umgeben-Sein, dieses In-der-Musik-Stehen, erzeugt bei mir immer noch Gänsehaut.« Fortan war es um ihn geschehen…

Ein zweites, ebenso wichtiges, Erlebnis folgte Jahre später. Beim Plattenhören mit seinem Vater – eine Aufnahme von Hermann Prey – lernte der immer noch sehr junge Kaufmann, dass es einzigartige Stimmen gibt, die man auf Anhieb erkennt. Die also ganz persönlich sind. »Die Quintessenz war für mich, dass ich – trotz vieler Idole und Vorbilder – nie versucht habe, zu sein wie ein anderer. Das hat keinen Sinn. Denn so kann man ja nur die schlechtere Kopie von jemandem werden.Stattdessen muss jeder seinen eigenen Klang finden.« Sein eigener Klang, der ist inzwischen operngeschichsträchtig. Die satte Färbung, diekraftvolle Höhe, der runde Ton. Der Stimmglanz. Man durfte das bei Mozart erleben, im französischen Fach, bei Verdi, Puccini und Wagner. In Salzburg, Bayreuth, New York, Mailand und Wien. An allen großen Häusern, in der Oper und im Liedfach. Live, auf CDs und im Stream. Und, es machte im Sommer die Runde: Jonas Kaufmann übernimmt zusätzlich die Intendanz der Festspiele in Erl, wird also zukünftig Bühnenkenntnis und strategische Planung vereinen.

Nun würde es nahe liegen, im Zuge dieser grandiosen Karriere womöglich auch eine gewisse Abgehobenheit zu vermuten. Schließlich ist er einer von ganz wenigen Ausnahmeerscheinungen, ein Superstar. Doch, besonders und gerade im Falle Kaufmanns: es ist genau das Gegenteil. Wer ihn als Gesprächspartner erlebt hat, als Interviewgegenüber oder einfach so gesellig: es gibt keine Barrieren, kein Ich-bin-die-Ausnahme. Eher: Kräftiges Lachen. Plaudern aus dem Nähkästchen. Und ein ganz entspanntes Verhältnis zu vielen Fragen des Berufs. Diese Entspanntheit entspringt einer hohen Professionalität, aber auch seinem Charakter. Musik, Oper soll – bei aller Ernsthaftigkeit – Freude bereiten, Spaß machen. Nicht nur den Tausenden im Publikum, sondern auch ihm. »Das ist der Idealzustand, dass man das, was man wahnsinnig liebt, zu seinem Beruf macht und davon lebt.« Würde es hingegen Stress sein, Auftrittsangst, Sorge, ob die Tagesroutine richtig eingehalten wurde, der Sängerschal korrekt sitzt und man es heute wieder so gut hinbekommt wie sonst – es wäre nicht seines. Das merkt man schon, wenn man dem Tenor kurz vor Auftritten in seiner Garderobe trifft. Denn da es kann vorkommen, dass er recht entspannt in einem Buch liest – und in einem, das nicht einmal etwas mit dem gespielten Stück zu tun hat. Nervosität? »Beim Ja-Wort wird man nervös«, scherzte er einmal. »Aber bei dem, was man kann, sollte man nicht nervös sein.«

Sprechen wir über Jonas Kaufmann, den Theaterpraktiker, der die Bühne in all ihren Facetten versteht und begreift: Er ist einer, der die »Spielregeln« kennt, der die Erfahrung hat und auch die Liebe zum Metier. Und der ein bannendes Charisma besitzt und die Sogkraft dessen verspürt, was Theater mit all seiner Magie auszeichnet. Dazu gehört nicht nur, dass er die unterschiedlichen Figuren mit großer Tiefenschärfe zu zeigen vermag, also einen Peter Grimes mit all seinen Abgründen. Einen Andrea Chénier zwischen Kunst, Revolution und Liebe. Einen Don Carlo, der menschlich rühren kann. Einen Parsifal, einen Werther, einen Cavaradossi. Dazu gehört auch Anekdotisches: Wer kennt nicht die Geschichte seiner Geistesgegenwart, als eine Tosca an der Wiener Staatsoper ihren Auftritt verpasste und er wartend anstimmte: »Non abbiamo il soprano…« Dazu gehört aber auch, dass er bereits in früher Jugend bei diversen Familienfesten als »Unterhaltungsprogramm«, wie er es nennt, fungierte und die Gruppe zum Lachen brachte: mit Gags, Schauspiel und diversen Dialekten. Und nur, weil letzteres so früh geübt hat, konnte er gerade die Anpassung an diverse Sprachfärbungen perfektionieren: Wer seine Wien-CD kennt, weiß um die Wienerische Farbe, die er auflegen kann und um die ihn so mancher k.k. Fiaker beneidet hätte.

Sprechen wir über Jonas Kaufmann, den Profi: Die präzise Durchdringung der Figuren, das Verbinden von Szene und Musik, von sängerischem und darstellerischem Ausdruck: das ist die Grundbedingung. Doch wahrt Kaufmann die notwendige Distanz. »Natürlich darf ich auf der Bühne keine echten Emotionen zeigen. Ich bin berührt, aber dennoch muss es die – wie Karajan sagte – kontrollierte Ekstase sein. Das bedeutet: Ich muss alle, mich eingeschlossen, überzeugen, dass ich jetzt ganz genau dieser Mensch bin, den ich darstelle. Und in dieser Situation genau diese Gefühle habe. Nur wenn ich selbst davon überzeugt bin, kann ich auch das Publikum überzeugen. Aber trotzdem, tief im Inneren, muss ich die Kontrolle haben und das Ganze steuern. Das ist leider so, weil man sonst leicht über das Ziel hinausschießt. Wenn ich auf der Bühne wirklich einen Heulkrampf bekäme, könnte ich nicht mehr weitersingen!« Auch in puncto Karriereplanung fand das seinen Niederschlag. »Ich erkannte, dass ich mich emotional ein Stück weit vom Inhalt lösen muss. Es muss Verve und Begeisterung dabei sein, aber das darf mein technisches Singen nicht beeinflussen. Das ist auch der Grund, warum für mich die Partie des Otello solange ein Tabu war. Denn oft, wenn Otello singt, gibt es eine unruhige Musikbegleitung im Orchester, einen brodelnden Vulkan. Das macht etwas mit einem als Sänger, man ist unter Druck, unter einer Hochspannung. Und das wiederum ist nicht gesund für die Stimme.« Erst als Kaufmann lernte, diese Spannung aufzugreifen, die Stimme gleichzeitig aber nicht zu gefährden, wandte er sich dieser großen, späten Verdi-Partie zu.

Die Kehrseite dieser Professionalität ist freilich, dass der Sänger den Betrieb so gut kennt, dass er ihn in jeder Facette durchblickt. »Wenn ich eine Kollegin, einen Kollegen im Theater erlebe, kann ich mich nie ganz gehen lassen. Ich sehe die Sache immer mit dem professionellen Auge, ich sehe immer den Betrieb. All die Details! Zum Beispiel: ›Ah, da ist ein Scheinwerfer nicht ganz richtig eingestellt!‹ Das ist natürlich schade. Denn so verliere ich die Möglichkeit, mich in die Theater- Fantasiewelt zu versenken.«

Und wie sieht es mit dem emotionalen Versenken in eine Figur aus? Muss man Parallelen zu sich entdecken? Die Figur sympathisch finden? »Es gibt sicher Charaktere, bei denen sich die Sympathie in Grenzen hält. Aber, um eine Rolle wirklich überzeugend zu bringen, muss man in sich drinnen, so hart das auch sein mag, ein Fünkchen von dem finden, was die betreffende Person ausmacht.« Das bedeutet freilich nicht, dass man sie mögen muss oder ein Bier mit ihr trinken gehen möchte. Aber man muss sie als Mensch begreifen können, ihre Motivationen, ihr Getriebensein.

Kehren wir zuletzt noch einmal zum augenzwinkernden, auch spitzbübischen Kaufmann zurück. Für welche Komponisten würde er gerne ein Abendessen ausrichten, in welcher Personenkonstellation? Verdi und Wagner, meint er lachend. Und dann ernsthaft: »Es wäre doch schön zu wissen, was sich die beiden, die ja immer aufeinander geschaut und sich respektiert haben, aber in unterschiedliche Richtungen gegangen sind, zu sagen hätten. Denken wir nur an Verdi, der nach einer extrem langen Pause seinen Otello herausgebracht hat. Ein Wahnsinnsding! Es ist interessant zu sehen, wie er diese neue Entwicklung des Durchkomponierens, dieses aus einem Guss Musizierens so ganz anders interpretiert hat als es Richard Wagner tat.« Und jetzt Kaufmann wieder lachend: »Und nehmen wir doch auch gleich Cosima Wagner und Hans von Bülow dazu, um zu sehen, was passiert!«

 

GIUSEPPE VERDI
OTELLO

25. 28. 31. OKTOBER 2023
3. November 2023

Musikalische Leitung ALEXANDER SODDY
Inszenierung ADRIAN NOBLE

Otelle JONAS KAUFMANN
Desdemona RACHEL WILLIS-SORENSEN
Jago LUDOVIC TEZIER
Cassio BEKHZOD DAVRONOV

Emilia SZILVIA VÖRÖS
Roderigo TED BLACK
Ludovico ILJA KAZAKOV
Montano LEONARDO NEIVA