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Kostümentwürfe zur "Kameliendame" von Jürgen Rose
© Kiran West

Authentizität bis ins letzte Detail

Mit dem Kostüm- und Bühnenbildner Jürgen Rose kehrt ein Grandseigneur seines Faches ins Haus am Ring zurück, der seit den 1970er Jahren auch die Geschichte der Wiener Staatsoper mitgeschrieben hat. John Crankos Romeo und Julia (1975), John Neumeiers Der Feuervogel / Daphnis und Chloë (1983) sowie Ein Sommernachtstraum (1986) waren in Wien in Roses prächtigen Ausstattungen zu sehen. Auf der Opernbühne prägte er als enger Partner Otto Schenks dessen Inszenierungen von Così fan tutte (1975), Die Meistersinger von Nürnberg (1975), Don Carlo (1977) und Lelisir damore (1980). Erinnerlich sind aber auch Roses Wiener Ausstattungen zu Boleslaw Barlogs Salome (1972), die bis 2022 im Repertoire war, Werner Kelchs Eugen Onegin (1973), Dieter Dorns Die Entführung aus dem Serail (1979) und August Everdings Parsifal (1979).

Derzeit weilt der mittlerweile fast 86-Jährige in Wien, um noch einmal eine seiner großen Arbeiten neu einzurichten bzw. neu anzufertigen. Das 1978 für das Stuttgarter Ballett geschaffene Bühnen- und Kostümbild zu John Neumeiers Die Kameliendame soll einen neuen Anstrich bekommen, ohne dass der alte Glanz verloren geht.

Schaut man Rose bei den Kostümanproben über die Schulter, ist sofort klar: An jener Akkuratesse, welche die Zusammenarbeit für viele Regisseure und Choreographen über Jahrzehnte so wertvoll gemacht hat, hat er bis heute nichts eingebüßt. Sein Blick gilt den Details und er weiß seine Änderungswünsche sorgsam zu vermitteln. »Bitte kein Haarspray verwenden«, hört man ihn freundlich zu den Kolleginnen der Maskenabteilung sagen. »Man muss jedes Haar sehen und spüren können, denn darin liegt der große Zauber in jenem Pas de deux, bei dem die Tänzerin mit offenen Haaren über die Bühne schwebt.« Man möchte vermuten, dass man das schon in der ersten Reihe des Zuschauerraums gar nicht wahrnimmt, aber darum gehe es ihm nicht. Es ist die Authentizität der Darstellung, die ihm wichtig ist. Rose versteht es, mit seinen Kostümen, aber auch dem Maskenbild den Tänzerinnen und Tänzern einen Charakter zu verleihen, sie darin zu unterstützen, vollkommen in eine Rolle eintauchen zu können. Die Anweisung »Die innere Krempe beim Hut ist vorne zu prominent. Die muss man bitte kürzen, sonst sieht es aus wie ein Helm« sorgt für nickende Zustimmung bei der Hutmacherin und erleichtertes Lächeln bei der Tänzerin. Auch der Stoff eines Unterrocks passt ihm farblich noch nicht – er müsste mehr braun als grau sein. Und so werden die verschiedensten Stoffe von Seide bis Organza ausprobiert und übereinandergelegt, bis der richtige Farbton gefunden ist.

Beim Fotoshooting für ein Portrait der Marguerite, das auf der Bühne zu sehen sein wird, sinniert Rose darüber nach, dass die Tänzerin eigentlich keinen Schmuck tragen sollte, habe die Kameliendame in ihrer Jugend doch gar kein Geld für teuren Schmuck besessen – ein »Irrtum«, den er für seine Wiener Fassung nun »ausbessert«. Und selbst bei der Wahl der Stifte legt Rose selbst Hand an: »Bitte sagt der Malerin im Arsenal, sie soll unbedingt die richtigen Kreidestifte für das Portrait verwenden, damit es historisch in die Zeit passt.«

Eigentlich wollte Rose, dessen Vater Bauer war, zunächst Schauspieler werden. Vielleicht rührt auch daher sein ausgeprägtes Identifikationsvermögen mit den Bühnenkünstlern. Da er aber von klein auf auch gerne zeichnete und sich mit Kostümen beschäftigte, tat sich schon sehr früh ein zweites Betätigungsfeld auf. Und es blieb auch nicht viel Zeit, um sich zu entscheiden: »Am Freitag legte ich mein Abitur ab. Und am Montag hatte ich schon einen unbezahlten Job als Volontär im Landestheater Darmstadt«, berichtet Rose. Nach zwei wertvollen Lehrjahren bei Intendant Gustav Rudolf Sellner und Ausstattungsleiter Franz Mertz ging Rose nach Berlin an die private Schauspielschule von Marliese Ludwig, studierte parallel aber auch Bühnenbild – eine Zeit die ihn durch Begegnungen mit Theatergrößen wie Therese Giese und Peter Lühr, aber auch Nachwuchstalenten wie Cornelia Froboess und Vera Tschechowa prägte, denen er als Partner u.a. in Shakespeares Romeo und Julia oder Heinrich von Kleists Käthchen von Heilbronn zur Seite stand.

Zu einer wichtigen Station wurde dann das Theater Ulm unter Kurt Hübner, wo Rose neben Wilfried Minks nicht nur als Ausstatter verpflichtet war, sondern auch als Schauspieler. Für bis zu 14 Premieren pro Saison kreierte er die Bühnen- und Kostümbilder für Regisseure wie Peter Palitzsch, Peter Zadek oder Johannes Schaaf und memorierte daneben seine Texte für seine Auftritte als Schauspieler – eine Doppelbelastung, die auf Dauer nicht machbar war. Rose entschied sich, sich ganz auf das Bühnen- und Kostümdesign zu konzentrieren. Im nahegelegenen Stuttgart kam es 1961 zu einer lebensverändernden Begegnung: Rose traf auf John Cranko und es kam zu einer ersten Zusammenarbeit nicht ganz ohne Konfliktpotenzial. »Ich sollte für Cranko ein Bühnenbild zeichnen und machte mich mit Lineal und Zirkel daran«, berichtet Rose. »Eines Tages kam Cranko zu mir ins Atelier, schaute sich meine Entwürfe an, nahm sie in die Hand und zerriss sie vor meinen Augen. Ich war zunächst sehr perplex, was Cranko merkte. Dann sagte er: ›Jürgen, das kann jeder. Ich möchte, dass du das mit deinem Strich malst, nicht mit dem Lineal.‹ Diesen Satz werde ich nie vergessen, habe ihn mein ganzes Leben lang beherzigt und immer wieder auch versucht, diese Erfahrung meinen Studenten zu vermitteln.« Die Zusammenarbeit mit Cranko blieb bis zu dessen frühem Tod 1973 künstlerisch für beide prägend.

Etwa zur selben Zeit, erinnert sich Rose sehr lebhaft, rief man ihn in der Kantine des Ulmer Theaters ans Telefon: Ein gewisser »Ebering« oder so ähnlich, sei am Apparat. Rose wusste nicht, wie ihm geschah, als er realisierte, dass August Everding, damals Schauspieldirektor der Münchner Kammerspiele, am anderen Ende der Leitung war und ihn sofort engagieren wollte. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge ließ Kurt Hübner ihn ziehen. Für Rose wurden die Münchner Kammerspiele für 40 Jahre zur künstlerischen Heimat – auch wenn er bald schon für Opern-, Operetten-, Ballett- und Schauspielproduktionen an viele große Bühnen und internationale Festivals engagiert wurde: neben der Wiener Staatsoper, die New Yorker MET, das Royal Opera House London, die Opéra de Paris, Scala di Milano, Bayerische Staatsoper, Semperoper Dresden, Hamburgische Staatsoper und das Hamburger Schauspielhaus, die Salzburger und Bayreuther Festspiele. Zu seinen wichtigsten Partnern zählten die Regisseure Rudolf Noelte, Hans Lietzau, Götz Friedrich, Otto Schenk, Peter Stein, Thomas Langhoff und vor allem Dieter Dorn.

Den Choreographen John Neumeier hatte Rose in Stuttgart bei Cranko kennengelernt, wo dieser zunächst noch neben William Forsythe und Jiří Kylián im Corps de ballet engagiert war. »Das war schon ein großes Potential damals in Stuttgart, wenn man schaut, was aus diesen Tänzern später einmal für großartige Choreographen wurden«, staunt Rose heute noch. Und gerne erinnert er sich auch an die Anfangszeit zurück, als er noch zwischen den Arbeiten für Cranko und Neumeier hin- und hergerissen war. Cranko war für Rose ein Lebensmensch, dem er viel verdankt – das Wissen ums Ballett, den Zugang zur Bildenden Kunst und zum Leben an sich. So beherzigte Rose beispielsweise bei einer seiner nächsten Reisen Crankos Anregung: »Wenn du nach Athen fährst, musst du ganz früh morgens barfuß die Treppen auf die Akropolis hinaufsteigen und dann dort oben den Sonnenaufgang erleben.«

Cranko war es auch, der Rose zunächst gegen seinen Willen, dazu ermutigte sich an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart als Professor zu bewerben – und so ein herausragender Lehrer und Mentor für ganze Generationen von Bühnen- und Kostümbildnern zu werden. »Er hat mich fast dazu gedrängt und dann hat er es selbst gar nicht mehr erlebt«. Sein Blick trübt sich, als er über Crankos letzte New York-Tournee mit dem Stuttgarter Ballett berichtet. »Ich habe mich sich sehr gefreut, dass man Crankos Arbeit dort so sehr zu schätzen wusste, denn in Stuttgart hatte er es nicht immer leicht. Auf seine letzte Tournee konnte ich leider nicht mitfahren, weil ich eine Produktion mit John Neumeier zugesagt hatte. Cranko wollte unbedingt kommen, um sie sich anzusehen, aber leider verstarb er während des Rückflugs und konnte sein Versprechen nicht mehr einlösen.«

Bis heute hat Rose über 300 Werke ausgestattet – und bei einigen auch selbst Regie geführt. 2019 präsentierte er mit dem Stuttgarter Ballett seine Neufassung von Kenneth MacMillans 1978 in London uraufgeführtem Mayerling, 2022 folgte in Stuttgart sein ganz eigener Blick auf den Nussknacker, choreographiert von Edward Clug. Jede seiner Arbeiten ist einzigartig – und von herausragender Qualität. Auf die Frage nach Zukunftsplänen reagiert er augenzwinkernd: »Jetzt ist erst einmal Schluss. John Neumeier möchte die Kameliendame demnächst auch in China und Südkorea zeigen, aber ich habe ihm gesagt: Dann sollen sie nach Wien kommen, sich die Ausstattung hier anschauen und nachbauen.« Dass die Wiener Arbeit wirklich Roses letzte bleibt, ist kaum vorstellbar.

Jürgen Rose im Gespräch mit Gerald Stocker.